Düstere Jahresbilanz

Mehr Morde und bedrohte Pressefreiheit in Brasilien

2015 war kein gutes Jahr für den Journalismus in Brasilien. Mindestens elf Reporter wurden aufgrund ihrer Recherchen oder Veröffentlichungen von Auftragskillern ermordet.

Vergangenen Dezember zählte das Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) mit Sitz in New York sechs im Jahr 2015 ermordete Reporter in Brasilien und kommentierte: Das sei die höchste Zahl an Journalistenmorden zwischen Zuckerhut und Amazonien seit Beginn der CPJ-Statistik im Jahr1992. Die Organisation Press Emblem Campaign (PEC) mit Sitz in Genf erhöhte dann die Zahl der aufgrund ihrer Recherchen oder Veröffentlichungen ermordeten Journalisten in Brasilien auf acht, was das lateinamerikanische Land auf eine Stufe mit Bürgerkriegsgebieten wie Somalia oder Sudan stellt. Laut PEC war das tödlichste Land für Journalisten im Jahr 2015 allerdings der von Bürgerkrieg und ISIS zerrissene Staat Syrien mit insgesamt dreizehn waehren der ausuebung ihres Berufes getöteten Berichterstattern.

Der nun im Januar vorgelegte Jahresbericht "Relatório da Violência contra Jornalistas e Liberdade de Imprensa no Brasil - 2015" des brasilianischen Journalistenverbands FENAJ - (Federação Nacional dos Jornalistas) spricht jetzt von insgesamt elf im vergangenen Jahr aufgrund ihrer Tätigkeit ermordeten Publizisten und Medienarbeitern in Brasilien.

Der Reporter Ivanildo Viana des Radiosenders Líder 100,5 FM von Santa Rita im Nordoststaat Paraíba war 2015 das erste Mordopfer. Zwei Killer erschossen den 51-jährigen am 27. Februar und flüchteten auf dem Motorrad.

Am 5. März wurde der 44 Jahre alte Journalist Gerardo Ceferino Servían Coronel aus Paraguay in seinem Wohnort, der Kleinstadt Ponta Porã im Süden Mato Grosso do Suls ermordet. Servián arbeitete für den lokalen Radiosender Ciudad Nueva 103,3 FM von Santa Pytã in der für Drogenschmuggel bekannten Grenzregion zu Paraguay.

Den Radiojournalisten Patrício Oliveira traf es mit 39 Jahren am 30. März auf dem Heimweg seines Radiostudios Sul Cearense AM von Brejo Santo, rund 500 Kilometer von der Hauptstadt Cearás entfernt. Die Mörder kamen per Motorrad. Der Killer auf dem Soziussitz tötete Oliveira mit mehreren Schüssen.

Mitte Mai macht dann der brutale Mord des 67-jährigen Bloggers von "Coruja do Vale", Evany José Metzker, Schlagzeilen. Die Polizei fand seine enthauptete Leiche am 18. Mai in Minas Gerais nahe der Siedlung Padre Paraíso. Der Körper trug Anzeichen von Folterung. Der abgetrennte Kopf des erfahrenen Journalisten lag 100 Meter vom Rumpf entfernt und wurde erst Stunden später entdeckt. Kurz vor seinem Tot war Metzker Fällen von Kinderprostitution in der Region auf der Spur.

Im Nordostbundesstaat Bahia starb am 23. Mai der 54 Jahre alte Reporter Djalma Santos da Conceição des lokalen Radios RCA FM von Recôncavo Baiano. Der als Djalma Batata bei seinen Hörern bekannte Moderator des kritischen Programms Acorda Cidade wurde in der Gemeinde Governador Mangabeira von drei Männer mit Kapuzen entführt, an einem unbekannten Ort gefoltert und mit 15 Schüssen getötet. Die Polizei fand seinen Körper mit abgeschnittner Zunge und herausgerissenem rechtem Auge in der Siedlung Timbó im Bezirk Conceição da Feira rund 110 Kilometer von Salvador entfernt. Djalma Batata hatte vor seiner Hinrichtung über den Mord eines Jugendlichen recherchiert.

Am 9. Juni erschossen Unbekannte den 62-jährigen Journalisten Francisco Rodrigues de Lima auf dem Parkplatz seines Radiosenders FM Monte Mor in der Stadt Pacajus in Ceará. Die Auftragskiller kamen per Motorrad.

Gleichfalls im Nordostbundesstaat Ceará starb am 6. August der Radiomoderator Gleydson Carvalho von Rádio Liberdade FM in der Stadt Camocin. Carvalho moderierte gerade sein Programm "Revista Regional" als zwei bewaffnete Männer in das Studio eindrangen und den 36-jährigen während der laufenden Sendung mit drei Schüssen hinrichteten.

Am 19. Oktober traf es die Chefin des Gemeinderadios 87 FM von Conceição do Castelo in Espírito Santo. Die 58-jährige Soneide Dalla Bernadina wollte ihren Stiefsohn von den Musikstunden abholen und wartete auf ihn im Auto, als sich ihr Mörder näherte. Er erschießt die Radiojournalistin im Auto und flüchtet zu Fuß.

Das nächste Mordopfer ist Israel Gonçalves Silva aus Pernambuco. Der Reporter des Gemeinderadios Itaenga FM wurde am 10. November erschossen. Silva moderierte das Radioprogramm Microfone Aberto, das Fragen der Öffentlichen Sicherheit zum Thema hat. Der 37-jährige Silva hatte gerade seine beiden Kinder zur Schule gebracht, als ihn wenigstens zwei Kugeln in Nacken und Arm trafen. Laut Augenzeugenberichten floh der Mörder auf dem Rücksitz seines Komplizen per Motorrad.

Der Nordostbundesstaat Maranhão ist Tatort der letzten beiden Journalistenmorde des blutigen Jahres 2015. Am 13. November stirbt der 30-jährige Blogger Ítalo Eduardo Diniz Barros durch mehrere Kugeln in Governador Nunes Freire, 181 Kilometer entfernt von São Luís, der Hauptstadt von Maranhão. Die Killer kamen und flüchteten per Motorrad.

Nur eine Woche später, am 21. November wird der Blogger Orislandio Timóteo de Araújo in der Stadt Buriticupu, 407 Kilometer von São Luís entfernt per Kopfschuss hingerichtet. Timóteo de Araújo war gerade mit seiner Frau auf dem Motorrad im Zentrum der Kleinstadt unterwegs. Auch in diesem Fall kam und flüchtete der Auftragsmörder per Motorrad. Der unter seinem Pseudonym Roberto Lano als unbequem bekannte 37-jährige Politik-Blogger hinterlässt drei kleine Kinder.

"Alle diese Morde weisen die Charakteristik von Auftragsverbrechen auf", so der FENAJ-Präsident Celso Augusto Schröder. Sein nationaler Journalistenverband definiert allerdings nur zwei der elf getöteten Publizisten als "Journalisten", da die anderen neun Opfer zwar im Medienbereich arbeiteten, doch ohne offizielle Registrierung als Journalist. In Brasilien gilt die Berufsbezeichnung Journalist ausschließlich für Publizisten mit Journalistendiplom, aber nicht für Radioreporter oder Blogger.

Egal ob mit oder ohne Journalisten-Diplom: Brasilien ist das Land, in dem 2015 weltweit die meisten Reporter per Auftrag und ausserhalb eines kriegerischen Konflikts ermordet wurden. Der Präsident der Vereinigung der Brasilianischen Journalisten ABJ (Associação Brasileira dos Jornalistas), Antônio Vieira, hält die von der FENAJ oder anderen Journalistenorganisationen vorgelegten Gewaltstatistiken zudem noch für untertrieben. Denn nicht nur die Reporter selbst, sondern auch deren Familienmitglieder seien häufig Opfer der Gewalt an Journalisten in Brasilien.

Egal ob mit oder ohne Journalisten-Diplom: Brasilien ist das Land, in dem 2015 weltweit die meisten Reporter per Auftrag und ausserhalb eines kriegerischen Konflikts ermordet wurden. Der Präsident der Vereinigung der Brasilianischen Journalisten ABJ (Associação Brasileira dos Jornalistas), Antônio Vieira, hält die von der FENAJ oder anderen Journalistenorganisationen vorgelegten Gewaltstatistiken zudem noch für untertrieben. Denn nicht nur die Reporter selbst, sondern auch deren Familienmitglieder seien häufig Opfer der Gewalt an Journalisten in Brasilien.

Vieira: “Wir erhalten zahlreiche Informationen über Gewalt gegen Journalisten jeglicher Art, inklusive Fälle von Morden an Familienmitgliedern ohne dass eine direkte Verbindung mit dem bedrohten Journalisten nachgewiesen wurde.” Hinzukomme, dass die Polizei in Brasilien oft eher gegen die Journalisten und Meinungsfreiheit arbeite als fuer sie.

Die Beauftragung von Killern ist sicher die brutalste Methode um Journalisten zum Schweigen zu bringen. Eine andere weniger Sichtbare, aber ebenso effektive Methode ist die Beauftragung von Rechtsanwälten, um kritische Reporter Mundtod zu machen. Die Situation sei gleichfalls gravierend, so der ABJ-Präsident. Journalisten würden mit Klagen selbst ohne Fundament überzogen bis die angeklagten Reporter nicht mehr die hohen Anwalteskosten tragen können und zum Schweigen verdammt seien.

Vieira: “Ich selbst wurde mehrmals bedroht und mit acht Prozessen überzogen, weil ich einen Korruptionsfall aufdeckte. Zum Schutz von meiner Familie musste ich dann die Stadt verlassen und die Arbeit in meiner Lokalzeitung aufgeben.”

Norbert Suchanek, Rio de Janeiro, Februar 2016

Brasilien offline

Mark Zuckerberg empört: Gericht lässt US-Internetdienst Whats-App blockieren. Eine andere Kammer beendete das.
https://www.jungewelt.de/2015/12-21/097.php
Ausgabe vom 21.12.2015, Seite 9 / Kapital & Arbeit

MMM - Zunehmende Journalistenmorde

BRASILIEN. Am 18. Mai diesen Jahres fand die Polizei nahe der Kleinstadt Padre Paraíso in Vale do Jequitinhonha in Brasilien einen kopflosen Körper mit zusammengebundenen Händen. Der abgetrennte Kopf des Journalisten Evany José Metzker lag 100 Meter vom Rumpf entfernt und wurde erst Stunden später entdeckt.
http://mmm.verdi.de/internationales/zunehmende-journalistenmorde-726